Im Frühjahr 2015 haben wir die Familie A kennengelernt. Wir hatten uns länger überlegt, wie wir aktiv werden könnten, um Geflüchteten irgendwie zur Seite zu stehen.
In Schweden wurde eine Initiative gestartetvon einer Schwedischlehrerin – Das Willkommensdepartement.
Das Konzept: Menschen zusammenbringen zum Abendessen. Viele Menschen haben volle Kalender und wissen nicht, wo sie die Zeit hernehmen sollen, Neuankömmlingen zu helfen oder gar zu begegnen. Jeder isst jedoch zu Abend (zumindest in Schweden). Lad doch jemand zu deiner Mahlzeit ein, ohne Ansprüche auf weiteres, einfach zusammen essen und Gespräche führen.
Ich habe mit der Frau geskyped und wollte das gleiche hier in Deutschland auf die Beine stellen, aber eben – diese Zeitmangel, ich kam nicht dazu.
(Glücklicherweise haben es andere tatkräftige Menschen ein halbes Jahr später gemacht – jetzt gibt es Welcome Dinners überall in Deutschland!)
Eines Tages tauchte in der Vorschulklasse meiner Tochter ein kleiner Junge auf, Mohammed-Gheis. Wir dachten uns, alles klar, wir machen es einfach in klein, da wir es zeitlich nicht schafften es groß aufzuziehen. Wir haben die Familie zu uns nach Hause eingeladen, mittels eines Zettels mit zwei Spalten, auf English und mit Google Translate gezaubertes Arabisch. Dies, weil ich die Eltern von Gheis in der Schule nie getroffen habe, meine Tochter blieb immer länger in der Schule als er. Die Vorschullehrerin hat mich angerufen, der Vater von Gheis, Hesham, stünde neben ihr und wüsste nicht was ich sagen wollte. Nach ein paar Erklärungsversuche haben wir uns verabreden können.
Ein paar Tage später habe ich die Familie vor der Schule getroffen, Eltern und vier Kinder. Wir sind zu uns nach Hause, haben Kaffee getrunken und mit Google Translate versucht, uns auszutauschen.
Die Familie wohnte auf dem Parkplatz neben der U-Bahn Hagenbecks Tierpark, in Containern (eine Notfolgeunterkunft). Wir sind prompt zurück eingeladen worden und haben gleich einen Festmahl vorgesetzt bekommen, auf kleinen Picknick-Grills wurde gegrillt und leckere syrische Auberginenpaste, Humus etc wurden gereicht. Wir haben den Kindern Federtaschen mitgebracht für die Schule, und die Freude war groß.
Die Familie hauste in zwei Container, schätzungsweise insgesamt 25 m². Der größte Wunsch der Familie war es natürlich, ein festes Dach überm Kopf zu bekommen. In dem Containerdorf war es laut rund um die Uhr, Familien wohnten neben jungen alleinstehenden Männern, die nicht zur Schule durften/mussten. Egal welches Wetter, es war entweder zu kalt, zu feucht oder zu warm in den Metallbüchsen. Aber – wie sie immer betonten – sie waren zusammen und in Sicherheit.
Durch sehr engagierte Menschen im Verein Herzliches Lokstedt hat die Familie wider erwarten eine Wohnung finden können, in Billstedt, drei kleine Zimmer plus Küche und Bad.
Wir haben durch diverse Facebookaufrufe fast einen gesamten Haushalt zusammentrommeln können, mitsamt Spenden für neue Bettwäsche etc. Somit konnte die Familie gut durchstarten.
Wir, ich und mein Mann, haben ein wahrscheinlich ungewöhnlich gleichberechtigte Ehe, wo wir die Haushaltsaufgaben, Kinderabholungen sowie die Versorgungsverantwortung teilen. Auch bei Hesham und Maryam in Syrien ist es so gewesen, dass beide gearbeitet haben, nur Maryam hat noch die gesamte Hausarbeit zu erledigen. Wir sprechen darüber, dass es in Deutschland anders ist. Sagen dem 15jährigen Sohn, das er kochen lernen muss, ansonsten wird er nicht essen können, wenn er von zu Hause auszieht. Wir sagen allen Kindern, dass die Schule die Lösung ist, und den Mädels versuchen wir gesondert aufzuzeigen, dass sie später arbeiten und eigenes Geld verdienen können.
Eine Situation haben wir gehabt, wo es ein Clash gegeben hat, noch im Containerdorf. Der kleine Gheis hat einem anderen Kind weh getan, und sein Vater hat ihn geschnappt und kräftig zugetreten – woraufhin ich hochgeflogen bin und Hesham angeschrien habe, eine lange Litanei von „es ist VERBOTEN jemand zu schlagen, auch dein Kind, und wenn du dich so verhältst, lernt er nur, das Gewalt OK ist – er wird es nicht vor deinen Augen machen aber dann, wenn du es nicht siehst“ usw. Alles auf Deutsch, in einer Situation, wo sie noch kein Deutsch sprachen. Sie haben nur diese wütende Wortfontaine vor sich gehabt, und eine Frau hat einen arabischen Mann zur Schnecke gemacht vor versammelter Nachbarschaft. Hesham war völlig baff über meine Reaktion, und hat sich wieder und wieder bei mir entschuldigt, wo ich erbost gemeint habe, er solle sich bei seinem Sohn entschuldigen, nicht bei mir. Nun. Damals waren sie sprachlich nicht so weit, um es auszudiskutieren.
Es steht noch bevor, das Gespräch 😉 Jetzt brauchen wir längst kein Google Translate mehr, alle lernen sehr fleißig Deutsch, gehen zur Schule, in die Kita.
Da ich den Job gewechselt habe und sehr viel eingespannter bin, sehen wir uns momentan nur alle zwei Monate oder so. Wir haben vor, die Familie langfristig zu begleiten, auf deren Reise in die deutsche Gesellschaft, und dabei Zugang zu Dinge zu verschaffen, die ohne Altangekommene wie ich es bin (seit 2000 in Deutschland) nicht „erreichbar sind“. Ein besonderes Anliegen für mich ist es, den Mädels berufliche Türen zu öffnen.
Die Familie ist nicht extrem traditionell, Maryam trägt ein Kopftuch, die beiden Mädels, 10 & 14 Jahre alt, aber nicht. Die Mädels sind unerschrocken, verbal und extrovertiert. Wir versuchen bei Behördengänge etc behilflich zu sein, wie Schulbehörde als der große Junge keinen Platz bekommen hat. Wir haben sie dabei unterstützt, die Berufsanerkennung von Maryam (Kinderkrankenschwester) in die Wege zu leiten. Eine der Töchter war bei in der Firma zum Girls Day eingeladen und wir haben geholfen für den großen Sohn einen Praktiumsplatz zu besorgen usw.
Lasst euch drauf ein und fangt einfach an – alles andere ergibt sich und es gibt Unterstützung und Rückhalt.
Viele Grüße
Lisa & Familie
September 2016
Die Familie A. haben viele Menschen in Teilen mitbegleitet, ob beim Übersetzen, Deutsch lernen, Ausflügen uvm, denn sie haben es einem auch sehr einfach gemacht, weil sie sehr offen sind. Das birgt aber auch immer wieder Gefahr „….viele Köche…“, deshalb ist es auch gut, sich abzusprechen, rückzukoppeln und an einem Strang zu ziehen.
Besonders der jüngste Sohn hat sehr unter der Situation gelitten, aber viele Probleme und Schwierigkeiten haben sich mit dem Umzug in eine eigene Wohnung, mit Rückzugsort und Selbstbestimmtheit, Struktur, Alltag mit Kita quasi erledigt. Die beiden jüngeren Kinder sprechen akzentfrei und wie selbstverständlich Deutsch
Eine Nachbarsfamilie vor Ort hat ihnen beim Einleben geholfen. Vor allem die Nachbarsmädchen haben auch deutliche Worte im Austausch mit ihren Altergenossen gefunden – und das ist immer wieder die Erfahrung, man muss auch klar und deutlich sagen, was in Ordnung ist und was nicht.
Was besonders toll ist: Wir haben sie auch immer wieder zu unseren Aktivitäten eingeladen, sie sind den weiten Weg gekommen. Sie haben uns unterstützt, mit Brücken gebaut und teilweise in großen Mengen selbstgekochte syrische Gerichte mitgebracht, um den nächsten Flüchtlingen, die oft noch in Erstaufnahmen wohnen – etwas mit uns weiterzugeben.
Herzliche Grüße
Anne
Vielen Dank an die vielen Mitmacher – vor allem an Souad & Kai.